Leben mit Krebs

Erkrankte und Angehörige im Alltag


Die Diagnose verändert alles. War es vorher die Angst, ist es nun die Gewissheit und bald auch der körperliche Beweis. Krebs verändert das Leben. Dies geschieht nicht nur physiologisch, sondern auch psychisch. Die Betroffenen und die Angehörigen müssen gleichermaßen ihren Alltag und den Umgang miteinander umstellen. Daher ist es wichtig, die auch neben der eigentlichen Therapie angebotenen Möglichkeiten zu nutzen.

Selbsthilfe und Bewältigung

Die Betroffenen

Die Physiotherapie stellt sicher, dass durch gezielte Bewegung und Übung verlorengegangene Körperfunktionen wieder hergestellt und Bewegungsabläufe wieder erlernt werden. Die Selbsthilfegruppe dient der seelischen Unterstützung durch ein gemeinsames Erleben. Wie in jedem Beruf, in jedem Alter und in jedem Hobby, so ist es auch bei komplex erkrankten Menschen: Betroffene unter sich können manchmal über Dinge reden, die ansonsten ungesagt bleiben, aber wichtig zu sagen sind. Eine andere wichtige Aufgabe der Selbsthilfegruppen ist der soziale Kontakt. Die Zeit, die man miteinander verbringt, ist wichtig für einen Halt und ein Ziel. Gemeinschaft pflegen heißt auch, Verantwortung tragen. Gerade für Alleinstehende und ältere Menschen, oder für Menschen, die Berührungsängste haben und gerade durch ihre Erkrankung sehr viel mit sich allein sind, kann eine Selbsthilfegruppe schnell zu einem Familienersatz werden. Neben allen emotionalen und psychischen Faktoren stellt die Selbsthilfegruppe eine gute Informationsquelle und ein Erfahrungsaustausch dar. Das Wissen über die Krankheit ist ein wichtiger therapiefördernder Aspekt, der gerade durch die Erfahrungen und Informationen vieler Betroffener gut erfüllt wird. Eine besondere Herausforderung ist aber der Tod. Immer wieder kann es sein, dass ein Mitglied der Gruppe seinem Krebsleiden erliegt. Der Verlust und die Angst, die Trauer und die Ratlosigkeit bis hin zur Resignation gegenüber seiner eigenen Heilung ist eine immer wieder neu zu bewältigende Aufgabe. Elementare Lebenssinnfragen und religiöse und philosophische Ansätze sind oft die Folge. Daher ist es immer gut, auch gruppenbegleitende Betreuer zu haben, die solche Gespräche führen und lenken können.

Die Angehörigen

Was für die Betroffenen gilt, ist auch für die Angehörigen wichtig. Wenn eine Gemeinschaft von Angehörigen besteht, die ein ähnliches Schicksal teilen, kann man viel eher über belastende und schwierige Situationen sprechen, die einem sonst die Rücksicht und das soziale Gewissen verbietet. Als erste Frage steht immer im Raum: Wie kann man dem Betroffenen helfen? Als zweite Frage sollte aber auch stehen: Was muss ich für mich tun, um ihm eine Hilfe zu sein? Die Tumorerkrankung eines Menschen greift in seiner lebensbedrohlichen Ausprägung die gesamte Psyche an. Das ist für die meisten Betroffenen eine große Bedrohung, die sich oft in Abwehrreaktionen vor zu großer seelische Belastung äußert. Typische Merkmale dieser Reaktionen sind:

  • Vermeidung aller Erwähnung der Krankheit, Verweigerung von diesbezüglichen Gesprächsangeboten
  • Zurückhaltung in sozialer Gemeinschaft, er zieht sich zurück.
  • Verdrängung medizinischer Fakten, Desinformation des tatsächlichen Befundes
  • ausschließlich intellektuelle Beschäftigung mit der “Theorie” Krebs
  • ausgeprägte Schuldsuche, vor allem bei anderen
  • frühkindliche und naive Verhaltensweisen, egozentrische Lustkonzentration
  • höhere Gereiztheit und Senkung der Belastungsschwelle
  • Verhinderung oder Negierung von therapeutischen Maßnahmen, aber auch Übereifer und Ungeduld

Für Angehörige ist es sehr schwer, das nicht persönlich zu nehmen und gekränkt, wütend, belehrend oder gar ablehnend zu reagieren. Hier ist vor allem der Zeitfaktor ein wichtiger Bestandteil des Umganges. Die massive Abwehrhaltung sollte sich aber nach einigen Wochen legen, bei andauernden oben beschriebenen Symptomen sollte professionelle Hilfe geholt werden. Die psychische Belastung für Angehörige ist enorm hoch. Sind es zu Beginn die Stimmungsschwankungen, kann es später auch zur völligen Selbstaufgabe und zur Resignation des Betroffenen führen. Immer wieder ist die Signalisierung der Gesprächsbereitschaft ein wichtiger Anker in der zwischenmenschlichen Beziehung. Je konkreter Hilfeanfragen gestellt werden, desto leichter ist es für den Angehörigen, etwas für den Betroffenen zu tun. Deren psychischer Druck der Unzumutbarkeit wächst jeden Tag. Dankbarkeit kann dieses Gefühl noch steigern. Darauf ist immer wieder in der Selbstverständlichkeit der Begleitung einzugehen. Alleine das alles zu schaffen, erfordert ein höchstes Maß an Disziplin und Hilfsbereitschaft. Daher ist die Hilfe für Angehörige ein wichtiger Beitrag in der therapiebegleitenden Arbeit der Betroffenen.

Tod und Abschied

Ist eine Heilung ausgeschlossen und die Therapie nur noch lebenserhaltend, wird man immer mehr mit der Frage des Todes und des Abschiedes konfrontiert. Der Betroffene verfällt zusehends, er wird schwächer, apathischer und sehnt sich nach dem Tod. Für Angehörige ist die Hilflosigkeit dieser Momente sehr schwer zu ertragen. Wut, Verzweiflung, Reue oder andere tiefgreifenden Gefühle begleiten das Sterben. Sie sind wichtiger Bestandteil der Verarbeitung und müssen Zeit und Raum finden, ausgelebt zu werden. Da der Tod nichts von seinem Geheimnis des unbekannten Weiterlebens verloren hat, ist er auch stets für den Angehörigen präsent. Hier ist der Rat eines Seelsorgers, eines Arztes oder Pfarrers sehr hilfreich. Die Öffnung für spirituelle Themen ist deutlich. Das Sprechen über Zukunft und Vergangenheit, über das Leben im Allgemeinen und im Besonderen und die gemeinsamen Erinnerungen und Träume sind jetzt das Wichtigste, was bleiben wird. Ungeklärtes aus frühen Tagen gewinnt häufig eine ungeahnte Wichtigkeit. Der Betroffene möchte alles “klären”, bevor er stirbt. Wünsche zu Details wie Beerdigungen, Testament etc. werden besprochen. Der Tod gewinnt immer mehr an Erleichterung, da Krebserkrankungen im Endstadium oft mit großen Schmerzen und körperlichen Beeinträchtigungen einhergehen. Nach dem Tod stellt sich oft zu Beginn eine große Leere ein. Dr. Doris Wolf beschreibt in ihrem Buch: “Einen geliebten Menschen verlieren”, PAL Verlag die Trauerphasen wiefolgt:

  1. Die Phase des Nicht-Wahrhaben-Wollens des Schocks und der Verleugnung: Der Hinterbliebene ist wie erstarrt, kann gar nicht glauben, dass der Kranke wirklich tot ist oder reagiert mit einem Gefühlsausbruch.
  2. Die Phase der aufbrechenden Gefühle: Der Angehörige erlebt heftige Gefühle der Verzweiflung, Angst, Hilflosigkeit und Einsamkeit. Häufig sind Trauernde wütend auf den Verstorbenen und sich selbst und empfinden Schuldgefühle. Begleitet werden diese Gefühle von massiven körperlichen Beschwerden (z. B. Ruhelosigkeit, Appetitverlust, Gefühle des Zugeschnürtseins).
  3. Die Phase der langsamen Neuorientierung: Der Verlust wird langsam akzeptiert. Der Trauernde widmet sich wieder seinen alten Aktivitäten oder sucht sich neue Aufgaben und entwickelt ein neues Selbstwertgefühl.
  4. Die Phase des neuen inneren Gleichgewichts: Der Hinterbliebene hat ein neuen Sinn im Leben gefunden. Er fühlt sich wieder im Gleichgewicht und sieht zuversichtlich in die Zukunft.

Natürlich ist das Trauern eine sehr individuelle und durchaus verschieden durchlebte Gefühlsarbeit. Dennoch ist eines immer wichtig: Zeit ist oft ein wichtiger Bestandteil. Ebenso wichtig ist aber auch die Beschäftigung mit Trauer. Ablenkung hilft oft für den Alltag, aber Zeit für eine direkte Beschäftigung sollte dennoch bleiben. Sich selbst in seiner Trauer zu ertragen fällt oft schwer. Ein paar Möglichkeiten sollen helfen, mit sich besser umzugehen:

Unterstützung

Allein sein ist schwer. Oft ist der Umgang mit anderen Menschen gut. Seelsorger, Pfarrer, Therapeuten und Gesprächkreise sind gute Möglichkeiten, in seiner Trauer etwas geführt zu werden und gut aufgehoben zu sein.

  1. Geduld
    Schnell ist vieles, nur nicht das Gefühl der Trauer. Mit sich in diesem Moment Geduld zu haben, ist schwer. Man sollte sich in diesem Moment nachsichtig behandeln.
  2. Alltag
    Die Struktur als Gerüst des Tages ist gerade in Zeiten seelischer Belastungen sehr hilfreiche. Kleine Ziele, Planungen, Vorhaben und andere Etappen erleichtern das schrittweise Wiedereingliedern in das alltägliche Leben.
  3. Feste
    Gerade zu Weihnachten oder Geburtstagen wird die emotionale Belastung hoch sein. Diese Feste müssen gut geplant sein, dass man nicht allein ist.
  4. Genuss
    Bestandteil jeder Trauer ist auch oft die Vernachlässigung des Glücks. Doch genau das sollte man gezielt suchen, um seinem Körper und seiner Seele Erholung und Verarbeitung zu ermöglichen.

Und obwohl es viele Möglichkeiten gibt, Trauer zu empfinden, mit der Trauer umzugehen oder gar Trauer zu bewältigen, so ist sie dennoch immer wieder neu und für den Angehörigen ein unmittelbar prägendes Ereignis.